Gastbeitrag: Corona – Verkehrssicherheit scheint unwichtig von Olaf Horwarth
Aktuell lassen sich alle Maßnahmen und Verordnungen mit Corona begründen, auch wenn sie noch so absurd und unsinnig sind. Nahezu alle EU-Mitgliedstaaten haben inzwischen die Vorschriften für die Lenk- und Ruhezeiten gelockert oder teilweise sogar ausgesetzt. Dieser blinde Aktionismus gefährdet die Verkehrssicherheit und verschlechtert die Arbeitsbedingungen der Fahrer.
Dabei gibt es hierfür keinen Grund. Zum einen müssten unsinnige und noch dazu völlig unnötige Hamsterkäufe verhindert werden, in dem die Abgabemengen beschränkt würden. Denn es gibt keinen Versorgungsengpass aufgrund von Corona. Es gibt lediglich zu viele Menschen, denen wohl niemand klar machen konnte, dass Einkaufen immer und weiterhin möglich sein wird. Allerdings stehen wieder einmal wirtschaftliche Interessen über sämtlichen Risiken durch übermüdete LKW-Fahrer. Ferner gibt es derzeit eine große Überkapazität an Laderaum, wie der Transportbarometer von TimoCom zeigt. Und weil zu jedem Laderaum in der Regel auch ein Fahrer gehört, kann es aktuell auch keinen Fahrermangel geben, der es rechtfertigen würde, dass die Fahrer rund um die Uhr arbeiten und fahren sollten!
Besorgte Spediteure bestätigen jedoch: Einige Auftraggeber, Produzenten von Lebensmitteln oder Hygieneartikeln und große Supermarktketten, bestehen darauf, die Ausnahmeregelungen bei den Lenk- und Ruhezeiten zu nutzen. Aus Gier nach Umsatz, um möglichst als Gewinner aus dieser globalen Notlage hervorzugehen, werden alle moralischen Grenzen überschritten – und die Regierungen der Staaten unterstützten diese zweifelhaften Bestrebungen auch noch.
Artikels 14 (2) VO (EG) 561/2006: Jeder Mitgliedsstaat macht was er will.
Dieser Artikel gibt den einzelnen Staaten die Befugnis, in dringenden Fällen Ausnahmen für einen Zeitraum von höchstens 30 Tagen zuzulassen. Den sprichwörtlichen Vogel schießt dabei Finnland ab. Hier wurden die Beschränkungen der täglichen, wöchentlichen und zweiwöchigen Lenkzeit einfach komplett aufgehoben. „No Limit“ heißt es in der an die Kommission gemeldeten Regelung. Da auch statt regulär 11 Stunden nur noch 9 Stunden Ruhezeit notwendig sind, ergibt sich folgende Rechnung: 15 Stunden sogenannte „Schichtzeit“ minus zweimal 45 Minuten Fahrtunterbrechung ergibt 13,5 Stunden. Somit wären in Finnland jeden Tag 13,5 Stunden Lenkzeit möglich. Aber auch in Österreich scheinen die Verantwortlichen nicht alle Sinne beisammen gehabt zu haben. Denn die Ausnahme ermöglicht es, eine Fahrtunterbrechung statt nach 4,5 Stunden nun erst nach 5,5 Stunden Lenkdauer einzulegen. Und das in dem Land, das nachweislich bisher bereits Übertretungen von einer Minute bestraft hat. Werden die Verkehrstoten momentan gar nicht mehr erfasst, sondern nur noch die Menschen, die durch den Virus gestorben sind? Findet hier seitens der Regierungen ein Abwägen zwischen den Todesursachen statt?
In Wirklichkeit ist es vollkommen gleichgültig, ob die Waren 45 Minuten früher oder später ankommen oder sogar erst nach einer ausreichenden und verdienten Ruhezeit des Fahrers!
Die Fahrer sind die Leidtragenden dieser Ausnahmen! Die Fahrer werden quasi „gezwungen“, noch länger als bisher zu arbeiten. Gleichzeitig werden die sozialen Rahmenbedingungen erheblich verschlechtert. Ihnen wird bei Verladern oder Empfängern der Zugang zu sanitären Anlagen und Kantinen verweigert und auf vielen Raststätten können sie weder duschen noch etwas zu essen kaufen. Wenn es der Regierung in den Kram passt, dürfen Fahrer rund um die Uhr arbeiten. Um deren Arbeitsbedingungen will sich jedoch wohl niemand so recht kümmern. Wenn dann allerdings etwas passiert, dann sind der Aufschrei und die Verachtung gegenüber der Branche sowie der Ruf nach strengeren Regelungen und Kontrollen wieder groß. Dann sind die jetzt als „systemrelevant“ eingestuften Transporte plötzlich wieder eine Gefahr für die Umwelt sowie für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer.
Dabei sollten Spediteure auch nicht vergessen, welches Ansehen sie und ihre Fahrer in „normalen“ Zeiten in der Öffentlichkeit und bei manchen Auftraggebern „genießen“.
Alle diese Entscheidungen spiegeln die Inkompetenz der Regierungsverantwortlichen und vor allem die Inkonsequenz ihrer Entscheidungen wider. Einerseits fehlt es nicht an klaren und deutlichen Vorgaben für den Schutz der Bevölkerung, wie z.B. Kontaktverbote, andererseits ist man nicht in der Lage, durch Auflagen gegenüber den Discountern Abgabebeschränkungen durchzusetzen. Die wirtschaftlichen Interessen einiger weniger werden ohne Sinn und Verstand über sämtliche Sicherheitsbedenken gestellt.
Transportunternehmen kann nur empfohlen werden, sich nicht auf die „neuen“ Regelungen einzulassen und stattdessen die normalen Vorschriften voll und ganz einzuhalten. Auftraggeber, die sich in solchen Krisenzeiten auf Kosten einer ganzen Branche und auf Kosten der Verkehrssicherheit ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein bereichern wollen, dürfen nicht unterstützt werden. Lässt sich die Transportbranche jetzt auf solche Spielchen ein, muss man sich hingegen auch nicht über einen noch schneller ansteigenden Fahrermangel wundern. Ferner sollten die Transportunternehmen im internationalen Verkehr auch bedenken, dass sicher nicht alle Kontrollorgane über die nationalen Einzelregelungen informiert sind.
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Als Mitglied im Tachographenforum der EU hält Olaf Horwarth auch regelmäßig Vorträge** in der sogenannten „Enforcement Working Group“, der Arbeitsgruppe der obersten, für die Durchsetzung der Vorschriften zuständigen Behörden in Europa. So steht er auch laufend mit der EU-Kommission sowie Vertretern des EU-Parlamentes in Kontakt. Die Teilnehmer seiner in Deutschland einmaligen Praxisseminare profitieren von seinem umfangreichen Wissen, das durch seine praktischen Erfahrungen aus leitenden Positionen in verschiedenen Verkehrsunternehmen untermauert wird.
Wir danken Olaf Horwarth, Inhaber von SBS-SchulungBeratungService mit Sitz im baden-württembergischen Salem, für diesen Gastbeitrag. www.sbs-info.de